Neun Empfehlungen zur Ernährungs- und Verbraucherbildung

Ergebnisse der Gespräche beim Runden Tisch des forum. ernährung heute "Zukunft Ernährungsbildung" 2021-2023.
Kinder kochen
Kinder kochen © Andrzej Rembowski auf Pixabay

1. Primarstufe (Volksschule): Interesse fördern, Bezug schaffen, Basiswissen vermitteln

In der Primarstufe sind Themen der Ernährungs- und Verbraucherbildung im Fach Sachunterricht verankert, die Volksschule bietet jedoch viel Potenzial für eine niederschwellige Ernährungsbildung, das noch besser ausgeschöpft werden könnte.

Es wird daher empfohlen,
  • grundlegend den Bezug zu Ernährung, Lebensmitteln und Essen zu intensivieren;
  • das Sammeln von Praxiserfahrungen zu ermöglichen;
  • Basiswissen zu vermitteln (z.B. Lebensmittel benennen, beschreiben, beurteilen);
  • themenspezifische Projekte/Exkursionen/Wandertage durchzuführen;
  • Schulgärten anzulegen und Schulküchen einzurichten (vgl. Pkt. 8).

2. Verpflichtendes Unterrichtsfach in der Sekundarstufe I

Derzeit ist Ernährung und Haushalt nur in den Mittelschulen ein Pflichtgegenstand, nicht jedoch in der AHS-Unterstufe, obwohl die Lehrpläne sonst für die gesamte Sekundarstufe I nicht nur einheitlich, sondern sogar wortidentisch sind.

Es wird daher empfohlen,
  • Ernährungs- und Verbraucherbildung verpflichtend im Rahmen eines fachspezifischen Unterrichts in der gesamten Sekundarstufe I (MS und AHS-Unterstufe) einzuführen;
  • durch eine fixe Verankerung des Fachs in der AHS die Thematik im gesamten Setting Schule zu stärken. Das kommt sowohl der Wissensvermittlung und dem Kompetenzerwerb als auch der gelebten Esskultur vor Ort (vgl. Pkt. 6) zugute.

3. Unterricht für Ernährung und Haushalt in Sekundarstufe I ausweiten

Eine adäquate ernährungs- und verbaucherbezogene Grundlagenausbildung soll gewährleistet sein.

Es wird daher empfohlen,
  • für die fünfte oder sechste Schulstufe, idealerweise jedoch für beide Stufen in der Sekundarstufe I, zumindest zwei Wochenstunden im Lehrplan einzuplanen;
  • erfahrungs- und erlebnisorientierte Ansätze besonders zu berücksichtigen (z.B. sollte jedes Kind einmal in seiner schulischen Laufbahn in einem landwirtschaftlichen bzw. lebensmittelproduzierenden Betrieb gewesen sein);
  • außerschulische Expertinnen und Experten entsprechend professionellen Standards in den Unterricht einzubeziehen;
  • vermehrt außerschulische Lernorte mit Fachlehrpersonen in Absprache mit außerschulischen Fachkräften zu besuchen;
  • einer gezielten Vor- und Nachbereitung im Fachunterricht Raum und Zeit zu geben.

4. Ernährungs- und Verbraucherbildung fächerübergreifend: Ergänzend unter bestimmten Bedingungen

Alle aktuellen didaktischen Konzepte fächerübergreifenden Unterrichtens setzen die fachlich fundierte Perspektive der Fachlehrpersonen voraus (vgl. Pkt. 5), vor deren Hintergrund fächerübergreifend nach verschiedenen Konzepten des Unterrichts geplant werden kann.

Es wird daher empfohlen,
  • für interdisziplinäres Lehren eine fachbezogene Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie eine fundierte Grundausbildung und stete Weiterbildung aller Pädagoginnen und Pädagogen im jeweiligen Fach als Bedingung festzulegen, konkret eine solide Ausbildung zu Ernährungs- und Verbraucherthemen;
  • Pädagoginnen und Pädagogen hinsichtlich ihrer Vorbildwirkung und wissenschaftsbasierter Ernährungsinformation zu sensibilisieren (vgl. Pkt. 5);
  • fundierte Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen, um die Vermittlung von Ernährungsthemen in anderen Fächern zu erleichtern (vgl. Pkt. 7);
  • die kontinuierliche Fortbildung für fächerübergreifenden Unterricht zu ermöglichen und zu intensivieren.

5. Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Pädagoginnen und Pädagogen intensivieren

Entsprechend den anderen kompetenzorientierten Lernbereichen, wie Wissenschafts-, Medien- und Digitalkompetenz, sollte auch die Ernährungs- und Verbraucherkompetenz durch einen ganzheitlichen Ansatz in der Ausbildung forciert werden. Dadurch wird fächerübergreifend vernetztes Denken der Unterrichtenden und in weiterer Folge auch jenes der Lernenden gefördert. Dazu zählen insbesondere die komplexen Zusammenhänge im Ernährungssystem - von der Produktion über die Verarbeitung und den Konsum bis hin zur Entsorgung - sowie Zusammenhänge mit einem körperlich aktiven Lebensstil, der psychischen Verfasstheit, emotionalen Aspekten und der Gesundheit.

Es wird daher empfohlen,
  • die fachbezogene Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern weiter zu stärken;
  • Ernährungs- und Verbraucherbildung in einem Mindestmaß in der Ausbildung aller Pädagoginnen und Pädagogen der Elementar-, Primar- und Sekundarstufe sowie der Freizeitgestaltung fix zu verankern;
  • an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten diesbezüglich verstärkt fächerübergreifende Inhalte anzubieten;
  • entsprechende Qualitätsstandards anhand des österreichischen Referenzrahmens und europäischen Kerncurriculums zu etablieren;
  • auf Kontinuität im Fortbildungsangebot zu achten, um allen Pädagoginnen und Pädagogen die Wahrnehmung entsprechender Angebote zu ermöglichen.

6. Potenzial ganztägiger Schulformen besser nutzen

Kinder lernen viele Alltagskompetenzen in erster Linie durch Beobachtung, eigenes Erleben und Erfahren, also implizit von ihren Vorbildern und Peers. Daher beeinflussen die familiären Gewohnheiten und Muster die Entwicklung stark, ebenso wie die alltäglichen Abläufe in der Schule. Ganztägige Schulformen nehmen daher durch die Versorgungsverantwortung sowie über die freien Betreuungszeiten eine wesentliche Rolle bei der Bildung von solider Ernährungskompetenz ein.

Es wird daher empfohlen,
  • bei der Verpflegung auf eine ausgewogene Menü zusammenstellung zu achten;
  • Kinder selbst die unterschiedlichen Menükomponenten und Portionsgrößen wählen zu lassen;
  • für ausreichend Zeit zum Essen und eine angenehme Atmosphäre zu sorgen;
  • in den Betreuungszeiten explizite Inhalte zu vermitteln sowie Möglichkeiten zur Praxiserfahrung zu bieten (Kochen, Garteln, …);
  • Freizeitpädagoginnen und -pädagogen durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Materialien zu unterstützen (vgl. Pkt. 5 und Pkt. 7);
  • mit schulexternen Expertinnen und Experten für die Gestaltung der Betreuungszeiten zusammenzuarbeiten und hierfür einen entsprechenden vertraglichen Rahmen zu schaffen;
  • in der Tagesgestaltung der körperlichen Bewegung und dem Sport mehr Zeit einzuräumen;
  • die lehrenden und betreuenden Personen auf ihre Vorbildwirkung zu sensibilisieren.

7. Fundierte Unterrichtsmaterialien gewährleisten und verwenden

Neben approbierten Schulbüchern sind für einen qualitativ hochwertigen Fachunterricht und fächerübergreifenden Unterricht (vgl. Pkt. 4) wissenschaftlich fundierte, objektive und didaktisch zeitgemäß aufbereitete Materialien hilfreich und nützlich. Um diese Kriterien zu erfüllen, sollten die Unterlagen ebenso wie die in der Schulbuchaktion aufgenommenen Bücher vor Erstpublikation und in regelmäßigen Abständen einer fachlichen Kontrolle und Evaluierung unterzogen werden.

Es wird daher empfohlen,
  • für Österreich eine Plattform analog zum Online-"Materialkompass" der deutschen Bundeszentrale für Verbraucherbildung zu schaffen;
  • wissenschaftsbasierte Materialien für alle Schulstufen zu bündeln;
  • eine Übersicht mit Fokus auf nachhaltige Ernährung anzubieten;
  • die Schnittmenge aus Consumer-, Nutrition- und Scientific-Literacy im Auge zu behalten;
  • die Qualitätssicherung der gelisteten Materialien über die Expertise multidisziplinärer Teams (z.B. Expertinnen und Experten aus Bildungswissenschaft, Fachdidaktik und Fachwissenschaft) zu gewährleisten;
  • dafür ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Zudem wird empfohlen, Fachleute in die Kommission zur Begutachtung jener Schulbücher aufzunehmen, die Ernäh- rungsaspekte mitbehandeln, etwa Bücher für Biologie, Chemie etc. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass diese Inhalte ebenfalls fundiert geprüft werden.

8. Praxis ermöglichen: Ausstattung der Schulen verbessern

Um wichtige Praxiserfahrungen im Schulsetting sammeln zu können, braucht es eine entsprechende Ausstattung der Schulen und Nutzung der Infrastruktur.

Es wird daher empfohlen,
  • Küchen, wenn vorhanden, regelmäßig zu nutzen, um die Praxis zu üben;
  • wenn keine Küche vorhanden ist, - idealerweise eine zu implementieren; - mobile Küchenblocks zu verwenden; - als Übergangslösung etwaige Infrastruktur in der Umgebung (Nachbarschule oder Gemeinschaftsverpflegungseinrichtung) zu nutzen;
  • in einer weiteren Ausbaustufe einen übergreifenden "Fachraum" zu schaffen, in dem Lehrküche, Experimentierbereich und Verkostungsstation gleichermaßen integriert sind, um verschiedene Formen des fachpraktischen Arbeitens zu ermöglichen;
  • einen Schulgarten mit - je nach räumlichen und zeitlichen Kapazitäten - Kräutern, Obst und Feldfrüchten anzulegen;
  • den Pädagoginnen und Pädagogen entsprechende Zeit zur Betreuung und Wartung zur Verfügung zu stellen bzw. diese durch anderes Personal zu gewährleisten.

9. Lebenslanges Lernen für alle Menschen fördern

Gerade in Zeiten des Wandels und der Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft sind die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und zu systemischem und zu- kunftsorientiertem Denken sowie Handlungsweisen, die nachhaltige Entwicklung fördern, wesentlich.

Diese Entwicklung endet nicht mit dem Schulabschluss. Ernährungsbildung kann als Teil der Bildung für nach- haltige Entwicklung betrachtet werden, die ebenso das Bewusstsein für die Komplexität von Problemen vermittelt und zu reflektiertem Handeln beiträgt.

Es wird daher empfohlen
  • fundierte Ernährungsbildungsangebote für Erwachsene niederschwellig zu etablieren;
  • wissenschaftsbasierte Informationen, Veranstaltungen , Kurse und Online-Formate (E-Learning) zu unterstützen;
  • Angebote zu forcieren, um die Kochkompetenzen zu steigern;
  • die von der Europäischen Kommission beim Sozialgipfel in Porto im Mai 2022 vorgeschlagenen Lernkonten und Microcredentials einzuführen;
  • qualitätsgesicherte Weiterbildungsangebote festzulegen.

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