Jede Frau hat das Recht auf ein Gewalt- und Angstfreies Leben
Strukturelle Nachteile erschweren Lösung aus Gewaltbeziehung für Frauen am Land
Gewalt gegen Frauen ist in Österreich nach wie vor ein großes Problem. Die Statistiken sprechen da eine erschreckend eindeutige Sprache: Rund 34,5% der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Mehr als 16% waren bereits von Partnergewalt betroffen. Der Zugang zu Hilfsangeboten ist nicht für alle Betroffenen gleich. Besonders am Land ist es für Frauen nicht so einfach, die Hilfe zu erhalten, die sie brauchen würden. Was am Landleben sonst geschätzt wird, ist in Fällen häuslicher Gewalt oft ein nahezu unüberwindbar erscheinender Nachteil. Der rasche und flächendeckende Ausbau der Hilfsangebote in den ländlichen Regionen ist daher ein wichtiges Ziel, denn jeder Tag, den eine Frau ihn Angst verbringen muss, ist einer zuviel.
Jennifer Watzdorf ist Sozialarbeiterin im Verein Frauen für Frauen Burgenland und eine der Koordinatorinnen des Projektes StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt (Copyright: Sabine Stövesand) im Burgenland. Sie kennt die Herausforderungen nur zu gut. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen befragt und um Ratschläge für Frauen am Land gebeten:
Jennifer Watzdorf ist Sozialarbeiterin im Verein Frauen für Frauen Burgenland und eine der Koordinatorinnen des Projektes StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt (Copyright: Sabine Stövesand) im Burgenland. Sie kennt die Herausforderungen nur zu gut. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen befragt und um Ratschläge für Frauen am Land gebeten:
Was sind die besonderen Herausforderungen für Frauen am Land, die Gewalt in der Familie/Partnerschaft erleben? Wo sehen Sie in Ihrer Arbeit die Unterschiede zum urbanen Raum?
Jennifer Watzdorf: Frauen, die von Partnergewalt betroffen sind, können im ländlichen Raum tatsächlich vor Herausforderungen stehen, wenn sie eine Gewaltbeziehung verlassen möchten. In meiner Beratungstätigkeit, aber auch in der Projektarbeit von StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt, zeigt sich immer wieder, dass Partnergewalt immer noch tabuisiert wird und es für viele Frauen eine große Überwindung und Herausforderung ist Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Die Gründe hierzu können sehr individuell sein, jedoch begegnet mir immer wieder folgendes:
- Frauen, die von Partnergewalt betroffen sind, wird kein Glauben geschenkt, wenn sie transparent machen, dass sie sich in einer Gewaltbeziehung befinden. Im ländlichen Raum kennen sich die Menschen untereinander, diese “Verstrickung“, vor allem wenn der Gewalttäter im Ort gut vernetzt ist und angesehen wird, erschwert den Ausstieg aus diesem Gewaltkreislauf. Der Mann, der durch seine nette, freundliche und hilfsbereite Art bekannt ist, kann doch kein Gewalttäter sein - so oft der Irrglaube dazu. Zudem vermischt sich hier etwas: Gewaltbetroffene Frauen haben große Angst und ein massives Schamgefühl, wenn es darum geht das ihre Situation im Ort bekannt wird. Die Sorge, hier Stigmatisierung zu erfahren erscheint nachvollziehbar. Eng damit verbunden sind auch Vorurteile und Mythen. Partnergewalt passiert nur “in solchen Familien“ oder “nur bei Ausländern“ sind ein Bruchteil an Aussagen, die mir in meiner täglichen Gewaltpräventionsarbeit begegnen, die aber natürlich nicht korrekt sind bzw. zeigen unterschiedliche Statistiken andere Ergebnisse.
- Hinzu kommt, dass viele gewaltbetroffene Frauen, die vor allem in kleinen Ortschaften leben in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Beispielsweise werden sie von ihrem Partner kontrolliert und isoliert und wenn diese Frau über keinen Führerschein, keinen PKW oder keinen finanziellen Mitteln verfügt, ist das Erreichen einer Beratungsstelle oder das Aufsuchen von Schutz nur schwer umsetzbar. Ebenso sind Frauenhäuser, Opferschutzeinrichtungen und Beratungsstellen, sowie die nächste Polizeistation oftmals weit entfernt. Demnach ist die Inanspruchnahme einer Beratung oftmals mit vielen Herausforderungen verbunden und benötigt Zeit und Planung.
- Zusätzlich ist immer wieder beobachtbar, dass Frauen im ländlichen Raum vor begrenzten Jobmöglichkeiten stehen. Gerade im Kontext von Partnergewalt kann dies bedeuten, dass eine betroffene Frau in einer massiven finanziellen Abhängigkeit steht. Die Gewaltbeziehung zu verlassen - in so einer Abhängigkeitssituation - ist durch mangelnde Arbeitsplatzmöglichkeiten erschwert und es kann zu einer wirtschaftlichen Notsituation kommen. Denkt man das Ganze weiter, so kann auch der Wohnraummangel in diversen ländlichen Gebieten den Ausstieg aus der Gewaltbeziehung erschweren und die Bewältigung aller Alltagsfaktoren kann Angst und Unsicherheit auslösen.
Welche Folgen hat die Benachteiligung für die Betroffenen?
Jennifer Watzdorf: Ich denke zusammengefasst kann gesagt werden, dass der ländliche Raum mit all seinen Strukturen den Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung erschweren kann. Neben dem Schamgefühl, der Angst, das der betroffenen Frau nicht geglaubt wird, der möglicherweise eingeschränkten Mobilität, diversen finanziellen Abhängigkeiten und eventuell begrenzten Jobmöglichkeiten ist eines außerdem zu erwähnen: Das Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ ist ein Gewaltpräventions- und Nachbarschaftsprojekt. Partnergewalt passiert im eigenen Zuhause, im eigenen Wohnzimmer. Nachbarinnen und Nachbarn können akute Gewaltsituationen wahrnehmen, beispielsweise wenn Wohnung an Wohnung gelebt wird. Im ländlichen Raum, wo die meisten Familien in Einfamilienhäusern wohnen und ein großer Garten das Wohnhaus umkreist, kann das Wahrnehmen von Partnergewalt möglicherweise schwer bis gar nicht stattfinden. Viele Nachbarinnen und Nachbarn am Land beschreiben, dass sie jahrelang nichts vom Zusammenleben der Nachbarin und des Nachbars mitbekommen haben - dies kann durchaus leider der Wahrheit entsprechen.
Welche Erfahrungen haben sie mit Ihrem Projekt gemacht?
Jennifer Watzdorf: Im Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ begegnet mir immer wieder die Problematik, dass sich die Gesellschaft teilweise nicht mit dem Thema beschäftigen möchte, beziehungsweise Hemmung wahrnehmbar ist. “Ach, ich brauch das nicht - ich bin nicht betroffen“ - ein Zitat, welches ich immer wieder höre, wenn ich eine Aktion zum Projekt im öffentlichen Raum umsetze. Hier habe ich eine klare Haltung: Die Auseinandersetzung mit dem Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“, mit dem Thema Partnergewalt an sich und Wissen über Anlaufstellen und Hilfsmöglichkeiten geht uns alle etwas an, unabhängig davon, ob ich betroffen bin oder nicht. Dieser Glaubenssatz möchte durch das Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ klar durchbrochen werden.
Ziel des Projektes “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ ist es Partnergewalt zu stoppen und vor allem “die Spitze des Eisberges“, den Femizid, zu verhindern. Aktuell sind wir mit vielen Aktionen, Veranstaltungen, Vorträgen und Workshops in Oberwart präsent und wollen das Thema Partnergewalt in der Stadtöffentlichkeit sichtbar machen. Ein wesentlicher Teil der Projektarbeit ist die Aufklärung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung. Von großer Bedeutung ist es, wenn wir mit Frauen und Männern, aber auch Jugendlichen, ins Gespräch kommen und über das Thema offen und transparent sprechen können. Daher bieten wir beispielsweise auch einmal im Monat einen offenen Gesprächstisch in der Pannonischen Tafel Oberwart an. Seit 2021 wird das Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ vom Verein Frauen für Frauen Burgenland umgesetzt und wir nehmen Erfolge wahr:
Wir möchten erreichen, dass das Thema Partnergewalt nicht mehr als “Privatsache“ definiert wird und die Gesellschaft aufgeklärt wird, richtige Informationen zum Thema erfährt und demnach zivilcouragiert helfen kann, denn eines gilt: Was sagen - was tun. Das können wir alle!
Ziel des Projektes “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ ist es Partnergewalt zu stoppen und vor allem “die Spitze des Eisberges“, den Femizid, zu verhindern. Aktuell sind wir mit vielen Aktionen, Veranstaltungen, Vorträgen und Workshops in Oberwart präsent und wollen das Thema Partnergewalt in der Stadtöffentlichkeit sichtbar machen. Ein wesentlicher Teil der Projektarbeit ist die Aufklärung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung. Von großer Bedeutung ist es, wenn wir mit Frauen und Männern, aber auch Jugendlichen, ins Gespräch kommen und über das Thema offen und transparent sprechen können. Daher bieten wir beispielsweise auch einmal im Monat einen offenen Gesprächstisch in der Pannonischen Tafel Oberwart an. Seit 2021 wird das Projekt “StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ vom Verein Frauen für Frauen Burgenland umgesetzt und wir nehmen Erfolge wahr:
- Frauen und Mädchen erfahren wertvolle Inhalte in unseren Workshops und reflektieren somit ihre eigene Situation, die Situationen in deren Umfelder und beschäftigen sich mit eigenen Grenzen und eigenen Haltungen.
- Jugendliche, die vielleicht gerade ihre ersten Erfahrungen in Partnerschaften machen, werden aufgeklärt und beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Viele Jugendliche haben bereits erste Erfahrungen machen müssen, umso wichtiger erscheint es hier aktiv in der Gewaltpräventionsarbeit tätig zu sein.
- Betroffene Frauen und Mädchen nehmen uns und das Projekt in der Stadt, bei Veranstaltungen und anderen Settings wahr und lernen uns kennen. Dadurch gelingt es, dass sie einen niederschwelligen Zugang zu uns in die Beratungsstelle finden und nehmen eine Gewaltberatung in Anspruch.
Wir möchten erreichen, dass das Thema Partnergewalt nicht mehr als “Privatsache“ definiert wird und die Gesellschaft aufgeklärt wird, richtige Informationen zum Thema erfährt und demnach zivilcouragiert helfen kann, denn eines gilt: Was sagen - was tun. Das können wir alle!
Die Bundesregierung hat heuer einen neuen Nationalen Aktionsplan beschlossen. Wird darin die Problematik der ländlichen Regionen ausreichend thematisiert, oder fehlen Ihrer Meinung nach wesentliche Lösungsansätze? Oder anders gefragt: Was b
Jennifer Watzdorf: Meiner Meinung nach wird im Nationalen Aktionsplan gut ersichtlich, dass der ländliche Raum, wenn es um das Thema Gewaltschutz und Opferschutz geht, berücksichtigt wird und gleichzeitig ausgeweitet werden soll. Vernetzung, flächendeckende Angebote und ein vereinfachter Zugang zu Opferschutzeinrichtungen sind dabei besonders wichtig. Der Verein Frauen für Frauen Burgenland zeigt hier natürlich großes Interesse ein flächendeckendes Angebot für gewaltbetroffene Frauen zu erzielen.
Welchen Rat würden Sie betroffenen Frauen am Land geben - wie sollen sie vorgehen?
Jennifer Watzdorf: Der Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung ist eine Herausforderung und erfordert viel Mut. Ich möchte aber jeder gewaltbetroffenen Frau eines mitgeben: Ein Leben frei von Gewalt hat jede Frau und jedes Mädchen verdient und auch wenn der Weg schwer, unmöglich, steinig erscheint - oder Angst macht, Unsicherheit auslöst, Drohungen seitens des Täters ausgehen - ES IST MÖGLICH! Gerade das Aufsuchen einer Beratungsstelle kann sehr hilfreich sein. Das Angebot ist kostenlos, vertraulich und anonym und sowohl in der Beratung als auch danach wird Frau zu keiner Entscheidung gezwungen. Wir wollen jede Frau verstehen und in ihrer Lebenssituation wertschätzen. Egal wie sich Frau entscheidet, alles ist in Ordnung und vielleicht braucht es manchmal mehr Anläufe, mehr Zeit, mehr Sicherheit und mehr Information, um die Beziehung gut beenden zu können. Der Verein Frauen für Frauen Burgenland kann eine erste Anlaufstelle sein, um sich erste Informationen einzuholen.